Miniaturen

Eine kleine Garten-Lektion

Sieh Deinen Garten wie einen Freund. Nimm ihn wahr mit allen Sinnen. Taste die Erde zwischen Deinen Fingern. Schau auf die sonnigen Köpfe der Blumen. Fühle das lautlosse Flirren der schimmernden Flügel der Libelle. Höre die Wespen am toten Holz kratzen. Lausche dem Abendgesang der Amsel. Rieche die Frische des Regens und die Süße der frisch gemähten Wiese. Lass die sanfte Säure der Himbeere auf der Zunge prickeln. Überrasche Deine Zunge mit einem Blatt Schokominze. Dein Garten ist voller Leben. Schau genau hin.

Sieh Deinen Garten wie einen Freund. Genieße, was er Dir schenkt. Sieh seine Fülle nicht als Last, sieg den Überschwang. Beschneide ihn nicht all seiner Schönheit. Halte ihn etwas im Zaum, doch rasiere ihn nicht kahl. Lass ihn gehen, begleite ihn, sei ein Teil von ihm. Macht gemeinsam die Welt an diesem einen Ort zu einem gesegneten Ort.

Sieh Deinen Garten wie einen Freund. Wenn Du mit ihm zusammen bist, erdet er Dich. Zusammen seid Ihr im Flow. Auf eine Aufgabe konzentriert. Im Hier und Jetzt. Ein gemeinsames Ziel. Eine gemeinsame Auszeit, die beiden guttut.

Sieh Deinen Garten wie einen Freund. Halte ihn aus. Akzeptiere ihn. Sieh seine Wiederholungen. Jahr für Jahr zieht er Kreise. Erneuert er sich. Wird dabei älter. Verändert sich. Auch Du ziehst Deine Kreise. Erneuertst Dich. Wirst dabei älter. Veränderst Dich.  Gemeinsam seid Ihr im Laif des Lebens verankert.

Sieh Deinen Garten wie einen Freund.

 

Pilgern

 Und so ist es, wenn ich als Pilgerin unterwegs bin

und ich laufe, laufe,

und das ist der Weg, der vor mir liegt

und der nur daliegt, und nichts dafür kann, dass er mir so schwer fällt,

und ich laufe den Weg, laufe weg,

und das ist mein Körper, der in der Hitze kämpft, mit dem Gewicht des Rucksacks kämpft, der schmerzt,

und das ist das nasse Tuch, das im Nacken liegend kurzfristig Linderung verschafft und das ist der Hut, der diese gnadenlose Sonne dämpft.

Und das ist meine Seele und das sind meine Gedanken und das sind meine Muster und das sind meine Ängste und das ist mein Zorn und das ist meine Traurigkeit und das ist mein Trotz

und ich laufe den Weg, laufe weg

und treffe mich immer nur selbst. Und da ist Gott und da ist diese Landschaft, die Gott geschaffen hat und da ist Dankbarkeit.

Und da ist der Weg, den ich laufe, erholsam. Und ich muss nicht mehr müssen und ich kann sein und ich laufe, ich esse, ich schlafe, ich laufe, ich esse, ich schlafe, ich laufe,

und da sind die anderen Pilger und wir laufen den Weg, laufen weg. Und wir dürfen für ein paar Wochen einfach sein. Und ich laufe und dann ist es vorbei.

Und das ist mein Körper und das ist meine Seele und das bin ich. Ich habe es geschafft.

 

 

Was bleibt

Die Zeit ist kurz. Nimm Deine Ziele ins Visier. Heute ist der Tag, der zählt. Der Augenblick. Der Blick in die Augen eines geliebten Menschen.

Der auch am Ende noch da ist. Dem ich ins Gesicht schauen kann, in seine blauen Augen. Der meine Hand hält. Dessen Hand ich halte.

Was bleibt? Nicht die Leidenschaft. Vielleicht die Erinnerung daran, die Sehnsucht danach. Die Sehnsucht nach dem gelebten Leben. Dinge, die sterbende Menschen bereuen: Nicht genug gelebt und geliebt zu haben. Zu viel Arbeit, zu wenig verschenkte Zuneigung.

Es soll nicht Bitterkeit bleiben. Über verpasste Chancen, den Sprung über den eigenen Schatten verpasst; im Korsett des Alltags und der vermeintlichen Zwänge stecken geblieben. Nicht mutig genug - zu verzeihen und sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Sich selbst zu sehen.

Ehrlichkeit. Was ist wichtig: Liebe, Authentizität, Freude. Menschen, die bleiben. Die mitgehen, wenn wir uns verändern. Verbundenheit. Seelen, die aufeinander aufpassen. Ohne Schwur und Ehre. Einfach, weil sie es wollen. Weil sie wissen, was wichtig ist.

In ein geliebtes Gesicht schauen. Am Ende die Hand halten. In diesem Augenblick.

 

Vielleicht

Vielleicht werde ich mich festlegen.

Vielleicht auch nicht.

Sich nicht festzulegen ist eine Form von Schwäche.

Vielleicht.

Standfestigkeit kennt kein Vielleicht.

Ich will nicht. Wenn Du es unbedingt willst, ich will es nicht.

Ich will mich nicht überreden lassen.

Oder doch? Vielleicht.

Sich nicht festzulegen ist eine Form von Stärke.

Dieses Vielleicht gibt mir die Freiheit.

Zu gehen - zu bleiben. Vielleicht.

Wenn ich es will. Ich entscheide.

Vielleicht.

Ich bin vage, unverbindlich - eben vielleicht.

Ich bin viel. Ich bin leicht.

Manchmal.

Vielleicht.